Der Menschenhasser

Manchmal habe ich das Gefühl ein Menschenhasser zu sein. Oft verurteile ich den Charakter einer Person, noch bevor sich diese überhaupt zu mir umgedreht hat. Das hat Konsequenzen.Denn es macht auf der einen Seite sehr einsam, auf der anderen Seite auch. Deshalb wollte ich mich ändern. Mein glühender Hass sollte einer wärmenden Liebe weichen, aus der Asche des Menschenhassers musste ein Menschenfreund gedeihen. Auf fremdem Territorium…

So kam es also, dass ich mich in einer Kostenrechnungs-Vorlesung wiederfand, an sich schon absurd, immerhin geht es da um Kosten und Rechnen,  also zwei Dinge, die auf meiner Beliebtheitsskala noch unter Sterben, Romantischen Komödien und dem FC Bayern stehen. Aber ich war ja nicht zum Spaß hier, ich hatte eine Mission: Ich wollte Lieben. Und zwar jeden und alles. Vorurteilsfrei und bedingungslos. Leider war der Rest des Hörsaals zum Zuhören und Mitschreiben da.

Und ZACK, da war er wieder, der alte Reflex. „Was sind das nur für Menschen?“ schoss es mir durch den Kopf. „Finden die das wirklich interssant? KOSTENRECHNUNG? Gott schuf die Welt in 6 Tagen, es gibt unentdeckte Tierarten, selbstfahrende Autos, Online-Streaming und  Bundesliga und euch interessiert ernsthaft der Unterschied zwischen AUFWAND und KOSTEN? WARUM?!! Ihr bezahlt mit eurer Lebenszeit für diese Erkenntnis und von der Auszahlung erhofft ihr euch die nächsten 300 Ralph-Lauren Polo Hemden in  hell rosa sichern zu können, oder was? Habt ihr Untermenschen denn gar keine Selbstachtung?!“

Mit meinem hasserfüllten Blick zerschnitt ich den Saal und brannte einen riesigen „Fuck the System“- Schriftzug in die Powerpoint-Projektion der Dozentin ein. Leider schien das sonst niemandem aufzufallen. Also ließ ich es wieder sein. Und erinnerte mich zurück an meine Mission, den Grund für meine Selbstkasteiung. Bedingungslose Liebe. Vielleicht kann sie mein Vordermann gut gebrauchen?

Ein junger Typ, vielleicht 17 Jahre alt, dunkles Hemd, helle Stimme. Kein Aufreißer, keiner von denen, die schon auf dem Bobby Car davon träumten mal CEO bei der Pharmaindustrie zu werden. Einfach ein ganz normaler Junge,  der sich seine Unschuld trotz BWL-Studium bewahren konnte. Und soeben ein goldenes Iphone 6 aus der Tasche zog. In einer ebenso goldenen Bentley Hülle. Ein Raunen ging durch den Hörsaal. Ich war mir sicher es galt dieser Enthüllung, aber es galt einem Witz der Dozentin, wie mir Überlebende später berichten sollten.

Ich starrte nach vorne. Er öffnete Whatsapp. Ich wollte fliehen. Er fing an zu schreiben. In eine Gruppe namens „Discopumper <3“. Sein Chat-Hintergrund-Bild bestand aus einer Rolex Uhr, die auf einem riesigen Eiswürfel lag. Keine Pointe. „So muss sich ein Gaffer fühlen, dachte ich, der einen schlimmen Auto Unfall aus der Ferne beobachtet ohne zu helfen.“ Eine weibliche Stimme zu meiner Linken zerrte an meiner Aufmerksamkeit, aber die steckte mitten im Katastrophen-Tourismus fest. Der Sunnyboy vor mir, auf dessen Cap in neongrünen Lettern übrigens Good Life zu lesen war, hatte soeben seinen ersten Satz verfasst, haderte allerdings noch, ob denn der zwinkernde oder der Tränen-lachende Smiley besser seinen Satz, Brudis heut abend werden die Hoes weggegrätscht, unterstreichen würde. Ich verliess den Hörsaal. Den Menschenfreund liess ich zurück.


 

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